Endlich mal der Anschein einer Diskussion! Das kam nicht oft vor in den letzten dreizehn Jahren. Aber auch Claudia Roth muss etwas davon mitbekommen haben. Wenn nicht schon im Mai 1998, so doch im April 2000. Da brachte ich mit ihrem Fraktionskollegen Werner Schulz (Markus Meckel und Cornelia Pieper als weitere Miteinbringer) den ersten Gruppenantrag (u.a. Angela Merkel als Unterzeichnerin) für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in den Bundestag ein. Wer angesichts dieser Zeitspanne und dutzender anderer Veranstaltungen in ganz Deutschland meint, das Denkmal sei durchgepeitscht worden, hat wohl immer gehofft, durch Verschweigen das Denkmal, wenigsten aber den Ort, verhindern zu können.
Und was das Stimmrecht in der Jury angeht, waren die Plätze für die sieben Sachpreisrichter rar. Die kleinste Fraktion bekam einen Stellvertreterplatz wie der Fraktionsvorsitzende der SPD-Volkskammerfraktion Prof. Richard Schröder. Für ihn war es nicht unter seiner Würde, hinzukommen und mitzudiskutieren. Der einzige frei gewählte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maiziére, war gar nicht vertreten. Wer ist da Claudia Roth, wenn es um 1989/90 und Freiheit und Einheit geht? Es ist schon interessant, welche Stimmen Raum in unserer veröffentlichten Meinung finden. Auch Spiegel-online irrt, dass sich niemand aus der DDR-Bürgerbewegung für die Auswahl der gewichtigen Zitate für die „Beweggründe“ finden wird (siehe z.B. den Bundestagsantrag oben).
Aber ich fand heute auch einen richtig guten, weil lustigen und wohl wahren Kommentar in der Berliner Zeitung (16. April 2011).
Das Denkmal wird gebaut! Und was für eins?! Milla und Partner haben nach einer Idee von Sascha Waltz genau das umgesetzt, was ich mir immer vorgestellt hatte: Ein Bürger-Denkmal für Freiheit und Einheit, das an die Friedliche Revolution vom Herbst 1989 und an die staaatliche Vereinigung Deutschland 1990 erinnert. Ein Freudenmal sollte es sein. „Bürger in Bewegung“ ist sein Titel. Es nimmt die Form des Sockels auf und formt daraus eine begehbare Schale. Die Bürger selbst üben mit ihrem Gewicht Einfluss auf die Stellung der Schale aus. Nicht der alte Kaiser Wilhelm oder einzelne „Helden der Revolution und der Deutschen Einheit“ werden auf den Sockel gestellt. Im täglichen Kampf für Freiheit und Einheit erobern die Bürgerinnen und Bürger den Sockel für sich selbst.
Der alte Sockel wird – im doppelten, Hegelschen Sinne – aufgehoben, von der Vergangenheit, vom Erdboden gelöst und der Zukunft zugewandt nach oben gewölbt. Auf dem Sockel stehen die Losungen der Freiheitsrevolution: „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.“ Sie sind nicht plakativ im Raum zu lesen, sondern wirklich und täglich zu gebrauchen – als Sitzgelegenheiten und Halt auf schwankendem Boden. Die Idee der Künstlerin und der Ingeneure ist einfach und gerade deshalb genial! Ich sage selten von mir, ich bin glücklich, aber heute ist solch ein Tag!
Danke allen, die dabei geholfen haben, 13 Jahre Beharrlichkeit haben sich gelohnt. Zuerst möchte ich Herrn Florian Mausbach, damaliger Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, danken. Er befasste mich mit seiner Idee auf Hinweis von Silvia Schultz im CDU-Ortsverband Alexanderplatz. Dank an die anderen Mitinitiatoren Lothar de Maiziére, einziger frei gewählter und letzter Ministerpräsident der DDR, und Jürgen Engert, Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudios. Zu viert wandten wir uns im Mai 1998 mit einem offenen Brief an die deutschen und Berliner Verfassungsorgane, an über fünfzig Meinungsträger und riefen die deutsche Öffenlichkeit auf, die historische Bedeutung der Ereignissen von 1989 und 1990 für die deutsche und europäische Geschichte doch mit einem Freudenmal, mit einem positiven Nationaldenkmal in der Mitte Berlins zu würdigen. Nach dem ersten Scheitern dieser Idee in Form eines Gruppenantrages im Deutschen Bundestag im Jahr 2000 und einer etwas ruhigeren Phase haben wir die Weiterverfolgung der Denkmal-Idee der Deutschen Gesellschaft übertragen. Veranstaltungen und Werben für die Denkmalsidee wurden vor allem vom Bevollmächtigten des Vorstandes, Andreas Apelt, vorangetrieben. Am 9. November 2007 kam es dann zum Beschluss des Deutschen Bundestages zur Errichtung eines solchen Denkmals. Der Beauftragter der Bundesregeirung für Kultur und Medien, Staatsminister Bernd Neumann, hat sich dieser Aufgabe von nationaler Bedeutung in den letzten Jahren und in zwei Wettbewerben entschlossen angenommen. Jezt hat er von den drei ausgezeichneten Sieger-Entwürfen den für mich mit Abstand besten für die Realisierung ausgewählt. Beteiligt dabei war das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und das BBR. Allen ganz herzlichen Dank. (13. April 2011)
(Weitere Literatur in der Publikationsliste)
Siegerentwurf von Milla und Partner, Stuttgart, Architekten in Arbeitsgemeinschaft mit Sasha Waltz, Künstlerin, Berlin
Beurteilung durch das Preisgericht vom 3. Oktober 2010
Der Entwurf 1007 entspricht der Intention der Auslober von Bundestag und Bundesregierung weitgehend und in eindrücklicher Weise. Die verbalen und visuellen Darstellungen behandeln das Thema der Friedlichen Revolution und der Deutschen Einheit. Besonders interessant ist die Form des Denkmals als ein nach oben, in die Zukunft „aufgehobener“ Sockel, der sich von der Vergangenheit löst. Sehr kontrovers diskutiert wurde, ob der Entwurf pathetisch wirkt.
Der Titel „Bürger in Bewegung“ verweist darauf, dass Veränderungen mit der Aktivität der Bürgerinnen und Bürger verbunden sind, Kommunikation voraussetzen und selbst dann nur langsame, allmähliche Bewegung erzeugt. Durch die Begehbarkeit des neuen Sockels in Form einer Schale werden die Bürger selbst zu Nutzern und zum Teil des Denkmals. Die Widmung „Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.“ steht nicht plakativ im Stadtraum, sondern wird um so deutlicher und sichtbarer, je weiter man sich auf dieses Denkmal einlässt und es betritt. Das Denkmal steht als Kontrapunkt in Bezug zum Schloss. Die Buchstaben selbst können zum verweilen und Nachdenken besetzt und benutzt werden.
Im Stadtraum bildet das Denkmal keinen Fremdkörper, sondern fügt sich in seiner äußeren Gestaltung und mit der goldfarbenen Oberfläche eher ein. Es erinnert z.B. auch an die Schale vor dem Alten Museum im Lustgarten.
Die verbalen und nonverbalen „Zitate“ aus der Bürgerbewegung der DDR und der Wiedervereinigung sind, zumindest was die auf der Unterseite vorgesehenen Abbildungen betrifft, nur dann ausreichend wahrnehmbar, wenn die Schale tatsächlich in Bewegung ist. Unklar bleibt die gesamte Gestaltung des Außenbereiches unterhalb der Schale. Diese muss in Bezug auf Sicherheit, Zugänglichkeit und architektonischer Wirkung zwingend überarbeitet werden Hinsichtlich der Sicherheit, Betriebskosten, des Missbrauchs und des hohen technischen Aufwandes wurden zum Teil erhebliche Bedenken geäußert. Der Zugang zur Schale für Behinderte ist ebenfalls unklar.
Die künstlerische Intention schließt nach Meinung des Preisgerichtes die Möglichkeit, dass die Schale tatsächlich bewegt werden kann, zwingend mit ein. Das im wörtlichen Sinne gemeinte „Gewicht“ des Volkes in der Demokratie wäre sonst nicht erfahrbar.
Es bleibt insgesamt fraglich, ob der Kostenrahmen von 10 Millionen einzuhalten ist, wenn das Werk beweglich sein und dauerhaft funktionieren soll.
Eingereichte Texte von Milla und Partner
Drei konzeptionelle Kerngedanken
1. Die mutigen Bürger der friedlichen Revolution von 1989 sind die Basis unserer heutigen Freiheit und Einheit. Das Denkmal will auch ein Vermächtnis und eine Aufforderung für nachfolgende Generationen sein und öffnet sich nach oben, zur Zukunft hin.
2. Das Denkmal lädt nicht nur zur Betrachtung von außen ein, sondern will betreten werden – der Bürger von heute steht dann im Mittelpunkt, wird selber Teil des Denkmals.
3. Wenn sich die Menschen in einer größeren Gruppe verständigen, können sie das Denkmal bewegen. Freiheit und Einheit sind keine dauerhaften Zustände, sondern müssen stets neu gestärkt und definiert werden, sie erfordern ständiges Engagement.
Inhaltliches und künstlerisches Konzept / Aussage und Wirkung
Ein nach oben geöffnetes, leichtes, schlankes und dynamisches Objekt. Es erinnert vielleicht an Flügel, an ein Blatt, eine Schale, ein Boot, eine geöffnete Hand. All diese Assoziationen sind erwünscht – es soll beflügeln und gleichzeitig Geborgenheit ausstrahlen.
Die Außenseite zeigt große Bilder von Demonstranten der Herbstrevolution, deren gemeinsame Kraft und Vision die Fläche von der Vergangenheit in eine optimistische Zukunft symbolisch emporstemmt. Formal bilden somit die Bürgerinnen und Bürger die Basis der Freiheit und Einheit, auf der sich die heutigen Besucher bewegen.
Die große und detailreiche Darstellung der Demonstranten auf hochwertigem Untergrund drückt unmittelbar Dank, Respekt und Wertschätzung gegenüber den mutigen Bürgerinnen und Bürgern aus. Dies entfaltet eine starke Fernwirkung, die Details dienen der Nahwirkung und animieren dazu, das Denkmal zu umrunden. Die Bildrasterung (als Lochstanzung) signalisiert einen journalistischen, dokumentarischen Anspruch, der einer Heldenstilisierung entgegenwirkt.
Die Asphaltoberfläche wird von eleganten Linien durch zogen, den sogenannten „Beweggründen“: Es sind in den Boden eingelassene Zitate engagierter Bürgerrechtler und Demonstranten mit ihren individuellen und vielfältigen Motivationen. Sie überziehen die Denkmaloberseite von Rand zu Rand und leiten den lesenden Besucher über die Weite der Fläche. Motive und Beweggründe werden von einem geeigneten Gremium recherchiert und ausgewählt.
Das Denkmal ist offen für unterschiedlichste Nutzungen: Spontane, informelle, spielerische oder auch offizielle.
Die Wölbung der Schale wie auch die Rundung des Schriftzuges bilden einen offenen Raum, einen Platz, eine Bühne, die den Menschen offen steht: als Ort des Zeigens, Schauens, Aufführens, Diskutierens, Musizierens. Ein Speaker’s Corner, ein Treffpunkt, eine Sitzlandschaft – ein Frei- und Spielraum für die Besucher und Bürger der Stadt.
Die zum Schloss hin geöffnete Schale fordert die Besucher auf, hinaufzukommen, sie zu betreten – die Bürger werden selbst zu einem Teil des Denkmals.
Die beiden Schlüsselsätze der friedlichen Revolution stehen zentral – aber nicht als Andachtsfläche, sondern mitten auf dem Asphalt im Hier und Jetzt und sind ein Appell an die Gegenwart und Zukunft.
Die Buchstaben sind „besetzbar“ im wahrsten Sinne des Wortes. Gerne können die Menschen auf den Buchstaben verweilen, essen, sich verabreden. Es wird ein heiterer, nahbarer Ort sein.
Die Besucher sind aufgefordert, das Erbe der friedlichen Revolution fortzuführen.
Die Besucher werden bei der Betrachtung und der Auseinandersetzung mit dem Denkmal aktiviert: Sie werden zu Akteuren, der Besuch wird zu einem höchst partizipativen Ereignis.
Demokratie und Freiheit sind kein Zustand, auf dem sich eine Gesellschaft ausruhen darf, sondern leben vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger in Parteien, Wahlen, Meinungsäußerungen etc.
Deswegen kann das Denkmal bewegt werden:
Es ist entlang der geometrischen Mittelachse beweglich gelagert. Sobald sich auf einer Seite 50 Menschen mehr als auf der anderen befinden, senkt sich diese langsam und geräuschlos nach unten, die gegenüberliegende nach oben: die Bürger bewegen ihr Denkmal gemeinsam. Es bedarf also einer gemeinsamen Vereinbarung, einer Verständigung miteinander, um das vollständige Erlebnis des Denkmals zu erreichen.
Es ist kein Denkmal der Vereinzelung, sondern des kollektiven Erlebens und der Begegnung.
Natürlich wird das den Besuchern auch schlicht und einfach Freude machen. Darum geht es ja auch bei Freiheit und Demokratie: um Freude, um Heiterkeit, um Lust am Leben ohne Mauern und in Freiheit und Einheit. Die Schale ist also sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne eine Verkörperung einer Bürgerbewegung. Das gemeinsame Engagement und seine Errungenschaften werden in die Gegenwart und Zukunft symbolisch weiter-getragen.
Botschaft: Nur gemeinsam können wir einen Staat oder eine Gesellschaft in Bewegung halten und verändern.
„Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk.“
Auf sympathische, spielerische Weise erleben die Besucher, dass die gemeinsame Freiheit nur durch Einheit möglich ist und die Einheit nur freiwillig wirklich erreicht werden kann.
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zur Geschichte des Denkmals
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