Ein Beitrag von mir – am Abend, als Mubarak zurücktreten wollte und es doch nicht tat …

Mich bewegen die Bilder der friedlichen, betenden und feiernden Demonstranten auf dem Platz der Befreiung in Kairo. Emotional erinnern sie mich an die Euphorie der Friedlichen Revolution im Herbst 1989 in der DDR. Viele Reaktionen des alten Machtapparats und Kommentare im westlichen Ausland bringen aber auch unangenehme Erinnerungen zurück.

Bezahlte Schlägertrupps und Provokateure der Regierung. Die Unruhen sind vom Ausland geschürt. Friedliche Demonstranten werden als kriminelle Elemente verunglimpft. Der Westen findet keine klaren Worte, sondern laviert. Einige stellen sich gar auf die Seite Mubaraks. Das alles kenne ich von 1989.

Ich glaube zu verstehen, warum die Menschen in Kairo so enttäuscht von uns sind. Im Grunde muss ich Ihnen recht geben: Man kann nicht behaupten, eine werteorientierte Außenpolitik zu betreiben, wenn uns bei den ersten „Freiheitsaufständen“ in einer Diktatur oder in autoritären Regimes nichts anderes einfällt, als das Wort „Krise“ und die Angst, es könnte zu Instabilitäten kommen.

Ich halte mich weder für naiv noch zynisch. Genau deshalb bin ich in diesen Tagen mehr als je zuvor davon überzeugt: Politik braucht einen Wertekompass:

  1. Es beginnt mit einer Setzung: Menschenwürde und der Idee universal geltender Menschenrechte. Ohne transzendenten Bezug oder Zirkelschluss ist das nicht zu begründen. Aber unsere Verfassung fängt zu Recht damit an und nicht mit Realpolitik und Relativismus.
  2. Alle Menschen haben von Geburt an unveräußerliche Rechte. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt – auch in Ägypten. Frauen und Männer fordern ganz elementare Freiheitsrechte und die Möglichkeit eines selbstbestimmten Lebens. Sie stellen sich damit zwangsläufig gegen das alte Unrechtsregimes und deren Repräsentanten. Das erzeugt Unruhe. Aber müssen wir deshalb behaupten: Nur Mubarak sichert Stabilität? Das klingt wie Erhard Eppler im Juli 1989: „Die Mauer gehört zur Statik des europäischen Hauses.“ Wie verletzend das ist, fühlen wohl nur die auf der unfreien Seite der Mauer.
  3. Selbstverständlich müssen wir mit Staatschefs reden, selbst wenn sie Menschenrechte mit Füßen treten. Aber wir dürfen Ihnen nicht die Aura der Anerkennung und Akzeptanz verschaffen. Wir zerstören dadurch die eigene Glaubwürdigkeit und zeigen, wie wenig wir von unseren eigenen Werten überzeugt sind.
  4.  Zukunft ist immer offen. Natürlich kann es auch immer noch schlimmer werden. Aber wollen nicht alle Menschen lieber in Frieden, gut und sicher leben, statt in den Krieg ziehen? Warum sagen wir nicht schon heute: Wenn „Ihr“ in Ägypten – und damit sind vielleicht mehr als einige Moslembrüder gemeint – elementare Menschenrechte in Zukunft nicht schützt oder das Existenzrecht Israels in Frage stellt, dann werden wir uns einmischen – und nicht wieder Jahrzehnte lang stillhalten.

(Während ich diesen Text schreibe – 10. Februar 2011, 20.00 Uhr – ist Mubarak endlich dabei zurückzutreten. Das zu fordern erübrigt sich also. Das Modell, an die Stelle des alten Staatsoberhaupts den Geheimdienstchef zu setzten, kann gut gehen, wie beim zweiten Mal mit Gorbatschow in der Sowjetunion oder – weil zu spät – vom Volk nicht akzeptiert werden, wie Markus Wolf in der DDR.)

Gekürzt erschienen im „Das Capital“.