Günter Nooke, Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin sprach mit Engagement Global – Service für Entwicklungsinitiativen über persönliches Engagement, Engagement in Afrika und wie wichtig es ist, dass Gesellschaften sich von innen heraus entwickeln.

Sie haben sich als DDR-Bürgerrechtler für die Freiheit der Menschen engagiert. Die Chance, an solchen geschichtlich prägenden Ereignissen mitteilzuhaben, hat nicht jeder. Was bedeutet für Sie grundsätzlich Engagement?

„Engagement muss immer der konkreten Situation vor Ort in einem Land angepasst sein, es muss zu einem passen, einem auch Spaß machen und einem selbst etwas geben. Wenn Sie auf meine Geschichte Bezug nehmen: in einer Diktatur wie die in der DDR musste man schon wissen, was man sich selber, seiner Frau und seiner Familie an Engagement zumuten konnte.
Deshalb verstehe ich Engagement nicht als etwas, was man machen muss und wo einen Leute zu treiben, sondern Engagement ist dann am erfolgreichsten, wenn es für einen selbst angemessen ist und Spaß macht, auch wenn es manchmal anstrengend ist.“

Hat man es leichter, wenn man selbst Unrecht und Unfreiheit erlebt hat, sich für andere zu engagieren?

„Ja, ich glaube, wenn man wie ich den größten Teil seines Lebens in einem unfreien Land gelebt hat, dann hat man den Vorteil, dass man Freiheit höher schätzt und nicht als selbstverständlich hinnimmt. Und man weiß, wie sich Menschen in unfreien, repressiven Systemen oder Diktaturen fühlen. Das hat mir als Menschenrechtsbeauftragter oder jetzt als Afrikabeauftragter schon sehr geholfen.
In Europa oder in Deutschland konzipieren wir unsere Entwicklungszusammenarbeit oft vor dem Hintergrund von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechtsschutz. So ist aber die Welt nicht überall. Wenn an selbst in einem anderen System gelebt hat, dann hilft das, zu sehen, wo es sinnvoll ist sich zu engagieren und was man machen müsste, damit Dinge sich bewegen. Es hilft, nicht zu naiv zu sein.“

Über das „richtige“ Engagement für Menschen, die in Afrika leben, wird häufig diskutiert. Einige sagen, die Unterstützung aus dem Ausland ist zu wenig und nur ein Tropfen auf den heißen Stein, andere sagen, Afrika kann sich nur selbst helfen. Wie lautet Ihre Antwort?

„Gesellschaften müssen sich von innen heraus entwickeln und es sind nur die Afrikanerinnen und Afrikaner selbst, die sich für ihr Land engagieren können. Man kann nicht von außen ein Land aufbauen, das die Menschen gar nicht wollen.
Aber wenn man ein gutes Verhältnis zueinander hat, bringt das Engagement auf beiden Seiten Vorteile. Ich glaube, dass Unterstützung, wenn sie richtig erfolgt, z.B. durch kommunale Zusammenarbeit, die Dinge in afrikanischen Ländern und Kommunen leichter machen kann. Es geht nicht nur um Geld, es geht auch um Know-how und den persönlichen Kontakt, dass man beispielsweise ganz schnell mal eine Email oder einen Facebook-Kontakt austauscht und sich gegenseitig hilft. Grundsätzlich ist meine Ansicht, dass Armut nicht dadurch bekämpft wird, dass wir Lebensmittel dorthin fahren oder Geld dorthin geben, sondern dass sich Gesellschaften von sich heraus entwickeln.
Es muss ein rechtstaatlicher Rahmen entstehen und die Menschen müssen sich frei bewegen können. Das Engagement und wirtschaftliches Handel sollten sind lohnen. Die Menschen müssen etwas verdienen können, so dass wirtschaftliche Entwicklung stattfindet.
Ich glaube, erst dann funktionieren Gesellschaften in sich selbst. Ohne diese Art von Wirtschaftswachstum sind bisher alle Entwicklungen nicht dauerhaft erfolgreich gewesen und das wird auch auf Afrika zutreffen.
Es gibt viele engagierte Menschen auf dem afrikanischen Kontinent und viele Entwicklungen in diese Richtung finden dort bereits in größerer Geschwindigkeit als anderswo statt.“

Angesichts von Tausenden afrikanischer Flüchtlinge, die nach Europa möchten und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen, manchmal auch verlieren: welches Engagement ist nötig, um kurzfristig die Lage zu verbessern?

„Man muss unterscheiden, warum Menschen weggehen. Die meisten, die bei der letzten Katastrophe ums Leben gekommen sind, kamen aus Somalia und Eritrea, das sind Systeme, die entweder gar nicht existieren oder ein menschenwürdiges Leben kaum ermöglichen, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Sie hätten allen Grund, in Europa oder in Deutschland Asyl zu beantragen und dafür brauchen wir einheitliche und geregelte Verfahren. Das ist etwas, was Europa machen kann und soll. Die meisten afrikanischen Staaten sind glücklicherweise keine gescheiterten Staaten wie Somalia. Und hier denke ich, dass Ehrlichkeit hilft, ohne dass das von irgendeiner Seite ideologisch ausgenutzt wird. Denn es muss klar sein, dass es nicht funktioniert, alle nach Europa einzuladen, hier zu beherbergen und zu integrieren. Es geht nicht um 350 oder 1000 Flüchtlinge im Mittelmeer, sondern um die Hundertausende oder Millionen, die sehr schnell kämen, wenn wir die Botschaft aussenden – und die geht dann sehr schnell durch ganz Afrika – wir nehmen alle auf. Stattdessen sollten wir überlegen: Was kann man in den Ländern tun, damit die Menschen eine Chance im eigenen Land sehen? Rechtstaatlichkeit und Menschenrechtsschutz ist das eine, aber auch gute Regierungsführung. Einige verlassen aus wirtschaftlichen Gründen ihr Heimatland, weil sie sich nicht entfalten und nicht ausreichend Geld verdienen können. Sie kommen aus rationalen Entscheidungen nach Europa und sind häufig die fittesten und gut ausgebildeten Menschen. Sie suchen nach einer Möglichkeit, wie sie wirtschaftlich überleben können und wie sie Geld verdienen können, um es ihren Familien zurückzuschicken.
Ein ganz elementarer Punkt ist für mich aber: wenn Menschen auf dem Mittelmeer in ihren Booten zu ertrinken drohen und italienische oder griechische Fischer diese nicht retten, obwohl sie das nach internationalem Seerecht tun müssten, weil sie mehr Probleme haben, wenn sie die Leute retten als wenn sie sie ertrinken lassen, dann haben wir in Europa die elementarsten Dinge von Menschenrechtsschutz selber nicht verstanden. Und darüber, glaube ich, muss eine öffentliche Debatte stattfinden.“

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Chancen, die Afrika selbst hat?

„Es gibt meiner Einschätzung nach mindestens drei Bereiche, in denen Afrika interessant ist und wo Entwicklung und Wachstum stattfinden werden. Es gibt ein großes Interesse in Afrika daran, landwirtschaftliche Produktion zu betreiben, auch industrielle Landwirtschaft. Die Flächen und das Klima bieten sich an vielen Stellen an, um wenigstens den afrikanischen Kontinent selbst versorgen zu können und vielleicht auch in Afrika für andere Märkte zu produzieren. Das ist etwas, was sicherlich innerhalb der nächsten 10 Jahre stattfinden wird und auch schon anläuft. Was auch läuft, ist die Nutzung von Rohstoffen wie Mineralien, Erdöl, Gas und Kohle. Da ist natürlich die Frage: Wie kann man verantwortlichen Bergbau betreiben in Ländern mit schwachen Institutionen und schwachen Regierungen? Auch hier wird die Nachfrage dazu führen, dass der Rohstoffabbau passiert, die Frage ist also wie. Und das Dritte ist meines Erachtens der Bereich der Kommunikations- und Informationstechnologien. Wir haben bei der Nutzung der Mobiltelefone in den letzten zehn Jahren gesehen, wie schnell sie sich in Afrika ausgebreitet haben und dass die Abdeckung mit Mobilfunkverträgen eine Zeit lang größer war als in anderen Regionen der Welt. Jetzt gibt es schnelles Internet, Breitbandverbindungen, mehrere Seekabel, die den Kontinent mit anderen verbinden. Und da ist natürlich die Frage: Zu welchem Zeitpunkt werden die Endgeräte so billig sein und so breit genutzt werden, dass Menschen etwas damit anfangen werden? Es gab z.B. die Initiative von Kofi Annan „One Laptop per Child“, dann hat das MIT (Massachusetts Institute of Technology) Tablets verteilt. Ich denke, wenn nicht 100 oder 1000, sondern Hunderttausend oder Millionen so etwas besitzen, dann werden da auch 100 oder 200 Menschen dabei sein, die daraus Geschäftsmodelle und neue Produkte kreieren, die nicht nur für Afrika, sondern für die ganze Welt interessant sind. Außerdem bieten Social Media wie Facebook die Möglichkeit, dass sich Menschen miteinander vernetzen, die vielleicht gar nicht weit auseinander wohnen, aber sich doch nicht so einfach sehen können, weil die Verkehrsstrukturen 20 oder 30 Kilometer nicht so einfach überwinden lassen. Das kann ein ganzes Land verändern, nicht nur, dass daraus Protestbewegungen entstehen, sondern ich denke viel eher an eine Art von sozialen Lerngruppen, in denen Menschen sich Dinge selbst erarbeiten und Serviceangebote aus dem Internet nutzen oder vielleicht selbst welche entwickeln, die für ihr Umfeld, in dem sie leben und arbeiten besonders wichtig sind. Also so etwas wie die Sendung mit der Maus 3.0 oder 4.0. Ich bin ganz sicher, in den nächsten 10, 20 Jahren wird sich auf dem afrikanischen Kontinent viel entwickeln.“

Facebook-Interview mit Engagement Global – Service für Entwicklungsinitiativen