Sehr geehrte Herren,

mit einiger Verwunderung haben wir zur Kenntnis genommen, wie Sie sich in Ihrem neuesten Buch dem Thema DDR-Opposition gewidmet haben. Dabei unterstellen Sie der DDR-Opposition pauschal reformkommunistische Attitüden. Weder für den Demokratischen Aufbruch (DA) noch für Angela Merkel, die nach unserer Erinnerung Anfang Dezember 1989 zu unserer Gruppierung kam, trifft das zu. Vielmehr belegen das Engagement des Demokratischen Aufbruchs und Angela Merkels Rolle dabei, welch eindeutige Haltung die spätere Kanzlerin bereits im Herbst 1989 zu den Themen deutsche Einheit und soziale Markwirtschaft hatte.

Ihre These, alle DDR-Bürger verbanden mit den sowjetischen Reformen um Gorbatschow reformkommunistische Ideen und Ziele, macht auch die mutigen Montagsdemonstranten vom 9. Oktober 1989 in Leipzig und die Fünfhunderttausend auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989 zu Reformkommunisten. Allein die Einsicht in das konkret Machbare hat die große Mehrheit der Demonstranten zumindest bis zum 9. November, ebenso wie die frühe Oppositionsbewegung, an der direkten Kampfansage gegen die SED-Diktatur gehindert. Natürlich lassen sich auch zahlreiche Ausnahmen finden, doch hatten diese keinerlei Chance auf Erfolg. Für die DDR-Bürger galt schon ein Einschwenken auf den sowjetischen Kurs von Glasnost und Perestroika als Riesenerfolg.

Die DDR-Führung war dort am ehesten verwundbar, wo man sie mit den eigenen Waffen schlug. Und die schärfste war nun einmal Gorbatschow, der bis hinein in die SED-Gefolgschaft die DDR erschütterte. Angesichts der realen Einschätzungen der Lage wäre alles Andere wohl politischer Selbstmord gewesen.

Die entscheidende Frage für die Demonstranten wie für die neu gegründeten Oppositionsgruppen wurde Ende November gestellt: Der „Aufruf für unser Land“ und der 10-Punkte-Plan Helmut Kohls zeigten, wer zu den Befürwortern und wer zu den Gegnern eines eigenständigen und „dritten“ DDR-Weges gehörte. Damals, gute zwei Wochen nach dem Mauerfall war die Zeit reif, klare Antworten zu geben. Der für uns entscheidende Tag von Leipzig am 9. Oktober und vor allem der Mauerfall hatten vielen Menschen die Angst genommen und eine offene und ehrliche Diskussion möglich gemacht.

Der Demokratische Aufbruch lehnte den Aufruf ebenso ab, wie es Angela Merkel tat, als sie sich in einem Brief an Christa Wolf wandte. Wir gingen sogar noch weiter: In einem Aufruf zur „Bildung einer Deutschen Nationalversammlung“ von Anfang Dezember 1989 setzten wir klare deutschlandpolitische Akzente. Das zu einem Zeitpunkt, wo dieses Ziel auf den Straßen keinesfalls eine ausgemachte Sache war. Der Demokratische Aufbruch war damit Impulsgeber der Einheitsbewegung. Dies führte in der Folgezeit zu heftigen innerparteilichen Debatten, die zahlreiche Austritte kosteten. Aber weder den Ausgetretenen noch anderen politischen Gruppierungen vom Neuen Forum bis zur Sozialdemokratischen Partei kann man pauschal „Reformkommunismus“ unterstellen.

Der Weg des Demokratischen Aufbruch in die liberal-konservative „Allianz für Deutschland“ und damit in die spätere Fusion mit der CDU hat Angela Merkel von Anfang an getragen und unterstützt. Sie war es, die sich hier klar positionierte und jeglichen „sozialistischen Experimenten“ eine klare Abfuhr erteilte, obgleich die Auseinandersetzungen in der DA-Führung noch bis zum Februar 1990 anhielten. zu gebieten.

Gerade für die heutige Auseinandersetzung mit dem Erbe der untergegangenen Diktatur in der DDR wäre eine, an den historischen Umständen gerecht werdende Auseinandersetzung hilfreich, um jeder Geschichtsklitterung Einhalt zu gebieten. Die Messlatte politischen Handelns heute wie damals ist, ob und wie viel Veränderung in einer konkreten Situation möglich ist und wie sie genutzt wird. Solche politischen Situationen können als hochkomplexe Systeme beschrieben werden. Mögliche Lösungen für politischen Erfolg werden wesentlich durch die Randbedingungen bestimmt. Diese sind aber in einer SED-Diktatur und in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung fundamental verschieden.

Mit den besten Grüßen
Ehemalige Mitglieder des Demokratischen Aufbruchs
gez. Andreas H. Apelt, Günter Nooke, Rainer Eppelmann, Hildigund Neubert, Ehrhart Neubert